Leseprobe

Kapitel 5.4

Anders denken über die Liebe – Bedingungslos heißt das Zauberwort
Katharina: Stellen Sie sich vor, Sie haben einen wunderbaren Partner an Ihrer Seite. Ihr Alltag ist geprägt von einer liebevollen Atmosphäre, Sie gehen achtsam und respektvoll miteinander um, haben ein gutes Maß an Reibung und Auseinandersetzung. Sie bekommem mit, wo Ihr Partner steht, was ihn bewegt und Sie haben das Gefühl, dass Sie sich ihm mitteilen können und dass er Sie versteht. Es gibt viel Leidenschaft und Zärtlichkeit, Innigkeit und Freiheit, Freundschaftlichkeit und Teamgeist…

Sabine: Wenn man sich umschaut, gibt es solche Paare leider viel zu wenig. Im Grunde fragt man sich doch häufiger, was ausgerechnet diese beiden Menschen miteinander verbindet? Es scheint eher so, als ob sich zwei Menschen zusammengetan haben, damit sie nicht allein sein müssen und in einer Art Zweckgemeinschaft vor sich hin- und nebeneinanderher leben. Ich glaube, das größte Problem, warum Achtsamkeit für die Partnerschaft so sehr in den Hintergrund tritt, ist oft, dass sich die Menschen so sehr selber verwalten. Sie kommen nach Hause von einem Job, der ihnen keinen Spaß macht und dann müssen erstmal lästige Pflichten erledigt werden. Anstatt mit dem Gefühl nach Hause zu kommen, "Wie schön, da wartet jetzt mein Liebster oder meine Liebste auf mich", sind einige eher gestresst und genervt. Viele haben das Gefühl, dass sie alles selber erledigen müssen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass all die Dinge, die für eine lebendige Partnerschaft wichtig sind – Nähe, Vertrautheit, Innigkeit, Zärtlichkeit – leichter entstehen können, wenn lästige Pflichten delegiert werden. Wenn einmal die Woche eine Putzhilfe kommt, dann entsteht gemeinsame freie Zeit, deshalb sollte man gut überlegen, ob es diese Investition nicht wert ist.
Dabei ist es so einfach, sich seinen Alltag schön zu gestalten. Ein liebevolles Ritual, wenn man von der Arbeit nach Hause kommt ist, dass man sich erst einmal eine Viertelstunde zusammen hinsetzt und eine Tasse Tee oder ein Glas Wein trinkt. Eine Kerze anzünden, ein paar Knabbereien hinstellen. So kann man den Feierabend einläuten, der Heimkehrende hat die Möglichkeit anzukommen und dann kann man gemeinsam überlegen, wie man den weiteren Abend gestalten möchte. Wer hat Lust einkaufen zu gehen? Wer holt die Kinder vom Schwimmtraining ab? In Ruhe Dinge besprechen, auf Augenhöhe Aufgaben verteilen und nicht völlig gehetzt eines nach dem anderen abarbeiten und um 22 Uhr das Gefühl haben, man ist sich nur wieder selbst hinterhergerannt. Dieses bewusste „Sich Zeit füreinander nehmen“ birgt die Möglichkeit, den anderen anzuschauen und Freude aufkommen zu lassen darüber, dass er da ist.

Katharina: Tatsache ist aber nun einmal, dass der Alltag, gerade im Zusammenleben als Familie mit Kindern, ausgesprochen komplex ist. Wenn beide berufstätig sind muss eben abends noch eine Menge erledigt werden.

Sabine: Aber fest steht auch, dass man sich aus vermeintlich unangenehmen Dingen eine schöne gemeinsame Zeit gestalten kann. So könnte man zum Beispiel die ganze Woche über die Unterlagen, die erledigt werden müssen, in einem Kasten sammeln und sich am Freitagabend verabreden, um mit einem leckeren Getränk gemeinsam alles zu beantworten, Rechnungen zu überweisen und alles abzuheften. Dann erledigt man es gemeinsam, beide haben Einblick und Überblick und man ist trotzdem entspannt zusammen. So kann man die Organisation des Familienlebens im Fluss halten und es mit einer positiven, harmonischen Stimmung verknüpfen, anstatt immer das „Wir müssen noch…!“ im Nacken zu haben.

Katharina: Es ist eben wieder eine Frage der Achtsamkeit. Mir scheint es oft so, als ob der Partner oder die Partnerin als Blitzableiter für jeden Frust missbraucht wird und darüber die Themen vergessen werden, über die man sich wirklich auseinandersetzen sollte…

Sabine: Deshalb ist es erst recht in einer Partnerschaft wichtig, dass jeder bei sich bleibt, seine Bedürfnisse achtet, auf seine innere Stimme hört und sich erst dann an den anderen wendet. Natürlich soll in einer Partnerschaft nicht immer alles rosarot sein. Im Gegenteil: Ich finde Reibung und Auseinandersetzung enorm wichtig, damit die Liebe lebendig bleibt. Es ist doch viel schöner und erfrischender, wenn man auch Momente hat, wo einem der andere enorm auf die Nerven geht. Diese kleinen, feinen Momente, wo man sich fragt, warum man ausgerechnet diesen mürrischen, starrsinnigen Kerl in diesem geschmacklosen Karohemd geheiratet hat, bloß um dann zwei Atemzüge später zu spüren, dass das der Liebe keinen Abbruch tut.

Katharina: Aber reicht es denn, wenn man einige schöne Momente miteinander hat?

Sabine: Grundsätzlich wäre es natürlich wünschenswert wenn Liebe die Basis einer Beziehung ist. Und um diese lebendig zu halten ist es wunderbar, wenn man sich selber immer wieder schöne Momente verschafft. Ich frage meine Patienten oft, wann habt ihr das letzte Mal miteinander geflirtet? Wann hattet ihr das letzte Mal ein Date mit eurem Partner? Und sie erwidern dann, dass sie sich doch ohnehin jeden Abend sehen würden. Schade denke ich, warum nehmt ihr nicht mal das schicke Kleid und die tollen Pumps mit zur Arbeit und schickt ihm eine SMS, dass ihr ihn um 18 Uhr in eurem Lieblingsrestaurant erwartet? Es ist herrlich eine bewusste Verabredung miteinander zu haben, anstatt immer abgekämpft mit fünf Einkaufstüten nach Hause geschnauft zu kommen. Beide sollten sich dafür stark machen, dass es Romantik gibt und das passiert meistens mit Dingen, die den Alltagstrott durchbrechen. Egal, ob man Fußballkarten kauft, um mit ihm gemeinsam ins Stadion zu gehen, auch wenn man mit Fußball nicht so viel am Hut hat. Oder man packt einen Korb mit Leckereien und veranstaltet ein Sonnenuntergangspicknick am See. Oder man legt abends die CD mit der Musik auf, die an den ersten gemeinsamen Urlaub in der Toskana erinnert. Oder man besorgt für sie Kinokarten, weil der neue Film mit Brad Pitt angelaufen ist und man neidlos anerkennt, dass der toll aussieht. Jeder kann seiner Phantasie uneingeschränkt freien Lauf lassen, um dann festzustellen, wie schnell und wie einfach das Glück wieder Einzug erhalten kann.

Katharina: Du sagst, man soll auf seine Bedürfnisse hören. Aber wie kann ich einen schönen Abend im Stadion verbringen, wenn ich selber gar keine Lust auf Fußball habe?

Sabine: Das Schöne daran ist, dass man nicht alles toll finden muss, was der andere toll findet. Aber man kann sich einfach mal auf seine Welt einlassen. Man kann dem anderen zuliebe Dinge tun und sich trotzdem nicht verbiegen, weil man es der Liebe wegen tut und damit für sich selber wieder in Harmonie ist. Und wahrscheinlich wird man dann viel einfacher Dinge finden, bei denen beide ins Schwärmen geraten.
Liebe braucht Kommunikation. Reden, reden und nochmals reden. Reden Sie doch einfach miteinander! Sagen Sie sich, was Sie schön finden und sagen Sie sich, was Sie nervt. Alle Gefühle sind erlaubt, nur nicht Gleichgültigkeit. Wenn sich erst einmal die Gleichgültigkeit eingeschlichen hat, dann wird daraus schnell Respektlosigkeit, Abneigung und Aggression. Das setzt allerdings voraus, dass beide bereit sind, über sich selbst, über den anderen und über den eigenen Anteil in der Beziehung nachzudenken. Wie erlebe ich mich? Wie erlebe ich den anderen? Wieso sieht mich der andere so? Hat er vielleicht sogar Recht mit seiner Einschätzung? Was macht das mit mir, diese Rückmeldung von meinem Partner zu bekommen, der mich so gut kennt, wie niemand sonst?

Katharina: Partnerschaft also als tägliche Achtsamkeitsmeditation?

Sabine: Ja, so stelle ich mir das vor. Liebe braucht einen achtsamen Umgang miteinander. Sich gegenseitig in die Augen schauen und spüren, wo der andere gerade steht. Sich fragen, was ich tun kann, um das Leben des anderen schöner zu machen. Und sich fragen, was ich mir von meinem Partner wünsche, damit er mein Leben schöner macht.
Liebe ist Geben und Nehmen und es ist erlaubt, sich immer mal wieder zu fragen, ob man überhaupt noch zusammen sein möchte.

Katharina: Aber sollte ich nicht nachdenklich werden, wenn ich in bestimmten Phasen meine Beziehung grundsätzlich in Frage stelle?

Sabine: Ich glaube nicht. Es ist ein guter Schutz davor, sich immer als selbstverständlich hinzunehmen. Das ist zumindest die Botschaft eines Paares um die 80, das regelmäßig zu mir kommt. Die Frau erzählte, dass sie einige Phasen in ihrem gemeinsamen Leben hatten, wo sie sich gefragt haben, ob sie noch weiterhin zusammen bleiben möchten, ob sie noch zueinander passen und sich immer noch gegenseitig glücklich machen. Was gefällt dir nicht? Was gefällt mir nicht? So kann die Liebe lebendig erhalten werden. Und so kann man sich das Gefühl erhalten, dass man den anderen so richtig toll findet.

Katharina: Trotzdem ist der Alltag vieler Paare mit diesen ganzen kleinen Nervereien gespickt…

Sabine: Es ist wieder eine Frage der inneren Haltung, ob man sich von den kleinen Nervereien tatsächlich das Leben trüben lässt. Wir sollten versuchen, den anderen so zu nehmen, wie er ist. Es ist wundervoll, wenn es einem gelingt, die Andersartigkeit des anderen vollkommen zu akzeptieren und darin ein wichtiges Potenzial der Partnerschaft zu entdecken. Also: Ich profitiere doch sehr, wenn ich einen ruhigen, ausgeglichenen, geerdeten Partner habe, der mit meinen emotionalen Schüben und Temperamentsausbrüchen umgehen kann. Da muss ich mich doch nicht beschweren, dass er nicht so impulsiv ist wie ich. Auf der anderen Seite ist es schön, wenn der andere erkennt, dass es mein Schwung und meine Energie sind, die Bewegung in unseren Alltag bringen und nicht ständig zu mir sagt, dass ich ruhiger werden soll. Es ist doch herrlich, wenn man durch die Andersartigkeit des anderen an einer anderen Weltsicht partizipieren kann. Mein Mann erklärt mir, warum er die Dinge eher sachlich, rational, naturwissenschaftlich versteht und ich erkläre ihm, wie ich das aus spiritueller Sicht sehe.
Das ist jedes Mal eine enorme Reibung, aber die ist so spannend und so bereichernd, dass wir stundenlang im Café sitzen oder am Strand entlang spazieren können, um auch nach 18 Jahren Ehe immer wieder neu über das Leben zu philosophieren. Frischer Wind muss von beiden Seiten in die Beziehung eingebracht werden.
Und es sind oft Kleinigkeiten, mit denen wir dem anderen zeigen können, dass wir froh sind, dass es ihn gibt. Schauen Sie sich beim Begrüßungskuss in die Augen! Nehmen Sie alles bewusst wahr und geben Sie sich mal mit Haut und Haaren diesem Kuss hin, anstatt ihn nur flüchtig auf die Wange zu pusten. Oder bringen Sie Ihrer Liebsten morgens eine Tasse Kaffee ans Bett! Damit ist die Welt doch in Ordnung! Wenn man solche liebevollen Zeichen erhält, dann fühlt man sich genährt und gestärkt, dann kann kommen was wolle und man kann die Herausforderungen des Lebens gleich viel besser meistern.